Deutsch
Die Passerelle ist jeder Berlinerin und jedem Berliner eigentlich bekannt, wenn auch nicht unter dem Namen. Sie sticht mit ihrem orangefarbenen Retro-Design und der düsteren Tatort-Atmosphäre ins Auge. Der 1975 eröffnete Fußgängertunnel ist unscheinbar und über die Jahre eher in Vergessenheit geraten.
Um den Ort besser kennenzulernen, sind wir an mehreren Tagen dort hingegangen, selbst wenn das Wetter nicht so gut war – wir sind ja nicht aus Zucker. Wir haben uns sogar bei Nacht getraut hinzugehen, was nicht ganz ungefährlich ist, aber uns definitiv dabei half, einen besseren Eindruck vom Ort zu bekommen. In der Nacht sieht die Passerelle noch gruseliger aus als am Tag – sie hatte fast was Postapokalyptisches. Das war ein ganz anderer, sehr besonderer Vibe – die Geräusche der Obdachlosen, die ihre Instantnudeln essen, und das dumpfe Rauschen der Autos über uns, gepaart mit dem vielen Müll und den Graffiti, die man nicht ganz erkennen kann, im dämmrigen Licht.
Abgesehen davon haben wir viele nette Leute kennenlernen dürfen. Zum Beispiel die Skater mit ihren beeindruckenden Skills und Tricks. Allein über die hätten wir einen eigenen Film machen können. Oder die vielen Passanten, die interessiert nachgefragt haben, woran wir arbeiten.

Nur durch Zufall ist Lena darauf gekommen, diesem Ort wieder etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. In einer Berliner Nachrichtensendung, die sie mit ihren Eltern schaute, hatte sie mitbekommen, dass bald ein Tischtennisturnier in dieser Unterführung stattfinden sollte. Das war schon ziemlich ungewöhnlich, so etwas in einer Unterführung zu veranstalten, in der Obdachlose Unterschlupf suchen und es nach Urin und anderen Substanzen riecht.
Dementsprechend wurde auch eine große Putzaktion gestartet, die wir auf keinen Fall verpassen durften. Pünktlich um neun Uhr morgens standen wir also zu dritt in der Passerelle und beobachteten mehrere Leute dabei, wie sie versuchten, das Tor zur Passerelle zu öffnen – unsere Kamera natürlich darauf gerichtet. Nachdem sich das Tor schließlich in Bewegung setzen ließ, kam das Putzfahrzeug wie ein großes, blinkendes Ungeheuer in die Unterführung gerollt, um den Boden dort zum Glänzen zu bringen. Einige Zeit liefen wir ihm dabei hinterher, um die bestmöglichen Aufnahmen zu sammeln. Neben vielen weiten Einstellungen vom Fahrzeug im großen, niedrigen Tunnel legten wir unseren Fokus besonders auf kleine Details: Die Spiegelung der Scheinwerfer in den glatten Wandkacheln oder eine kleine Uhr, die die weggeschickten Obdachlosen zurückgelassen hatten. Schwierig wurde es, als wir uns an Nahaufnahmen der runden Putzbürsten versuchten, denn diese waren schneller als gedacht. Am Ende konnten wir dieses Problem doch noch erfolgreich lösen, denn Mia durfte sogar einmal im Fahrzeug mitfahren!

Am nächsten Tag war es dann so weit: Am Freitag, dem 26. April, sollte das Tischtennisturnier endlich starten. Nachdem wir am Vormittag die Aufbauarbeiten dokumentiert hatten, trafen wir uns um 18 Uhr zur Eröffnung. Noch bevor man die Unterführung betrat, hörte man schon draußen den Hall der Musik, vermischt mit dem lauten Geräusch aufprallender Tischtennisbälle. Die Hobby-TischtennisspielerInnen spielten sich hier schon warm, bis die Begrüßung begann. Den gesamten Abend über liefen wir zwischen den Tischtennisplatten und –spielenden hin und her, während wir versuchten, die interessantesten und spannungsvollsten Einstellungen aufzunehmen. Wieder waren Aufnahmen des gesamten Raumes vergleichsweise schnell gemacht und wir widmeten uns den Details. Darauf achtend, niemanden vom Spiel abzulenken, filmten wir aufprallende Bälle, den DJ an seinem Mischpult, Interaktionen zwischen den SpielerInnen und natürlich die speziellen individuellen Spieltechniken, die uns faszinierten und uns viel über die Menschen selbst verrieten. Wichtig war auch die Perspektive der Einstellungen: Wir merkten, dass es viel an der Aussage eines Bildes ändert, ob es sich um eine Totale vom gesamten Spiel handelt, eine Halbnahe der SpielerInnen oder eine Detailaufnahme von Füßen, Bällen oder Händen.

Das Turnier ging auch am Samstag weiter, wir jedoch trafen uns erst am Sonntag wieder, um weitere Aufnahmen zu sammeln und bei der Siegerehrung um 16:30 dabei zu sein. Diese schaffte es jedoch nicht in den finalen Film, wie der Großteil unserer Aufnahmen. Es war wirklich schwierig, später im Schnitt auszuwählen, welche Einstellungen am wichtigsten waren und gut zusammenpassten. Allein schon über die leere Passerelle konnte man aus unserem Material leicht einen ganzen Film schneiden. Dieser war auch gar nicht so uninteressant, denn er zeigte den Ort aus der Perspektive verschiedener Menschen: Die vielen PassantInnen, die die Passerelle zügig mit ihren Koffern durchqueren, die Skater mit ihren spektakulären und ziemlich lauten Tricks und natürlich die Obdachlosen, für die der Ort ein Zuhause ist. Doch dann kamen die wichtigen Aufnahmen des Turniers hinzu und wir mussten radikal kürzen. Aus diesem Grund entschieden wir, uns lediglich auf einen Aspekt davon zu konzentrieren: Die Leere und das unheimliche, verlassene Gefühl, das viele Menschen in der Passerelle empfinden. Diese Ruhe kontrastiert das laute, schnelle Tischtennisturnier am stärksten und unterstreicht die Veränderung des Ortes, weshalb wir uns entschieden, die vielen Aufnahmen, die dem nicht entsprachen, herauszunehmen.

Im Schnitt ist außerdem erstmals wirklich klargeworden, welche Position wir im Geschehen einnehmen. Dadurch, dass wir bewusst nie mit den Menschen dort Interviews geführt haben oder sogar selbst vor die Kamera getreten sind, wahren wir eine Distanz zu ihnen und bleiben relativ neutral, auch dem Ort gegenüber, sodass wir zum Anderen für den Ort wurden. Währenddessen fokussiert sich der Film stark darauf, nicht nur das Sichtbare dort zu filmen, sondern auch das Gefühl zu vermitteln, welches man am Ort verspürt.
Auch die Entscheidung, erst am Ende die Straße und die Umgebung zu zeigen, fiel relativ spät, da wir erst das Ziel verfolgten, den Zuschauenden möglichst genau zu zeigen, wo wir uns befinden. Später erst wurde klar, dass dieser Aspekt nebensächlich ist und diese Ungewissheit die merkwürdige Atmosphäre des Ortes unterstreicht.
Allgemein ist uns besonders aufgefallen, wie viel sich bei einem Dokumentarfilm erst im Schnitt entscheidet und dass es zahlreiche Wege gibt, dasselbe Thema interessant darzustellen. Ungefähr drei Wochen und viele Absprachen später war unser Film dann schließlich bereit für die Premiere in Lissabon.
Englisch
Every Berlin citizen knows the Passerelle, even if not by name. It catches the eye with its orange-coloured retro design and gloomy crime scene atmosphere. Opened in 1975, the pedestrian tunnel is inconspicuous and has tended to be forgotten over the years.
To get to know the place better, we went there on several days, even when the weather wasn’t so good. We even dared to go at night, which is not entirely safe, but definitely helped us to get a better impression of the place. The Passerelle looks even creepier at night than it does during the day – it almost had a post-apocalyptic feel to it. It was a very different, very special vibe – the sounds of homeless people eating their instant noodles and the dull roar of cars above us, coupled with all the rubbish and graffiti you can’t quite make out in the dim light.
Apart from that, we got to know a lot of nice people. For example, the skaters with their impressive skills and tricks. We could have made a film about them alone. Or the many passers-by who were interested to find out what we were working on.
It was only by chance that Lena decided to pay a little more attention to this place. In a Berlin news programme she was watching with her parents, she heard that a table tennis tournament was soon to take place in this tunnel. It was quite unusual to organise something like this in a tunnel where homeless people seek shelter and where it smells of urine and other substances.
Because of this, a big cleaning campaign was launched, which we couldn’t miss under any circumstances. At nine o’clock in the morning, the three of us stood in the Passerelle and watched several people trying to open the gate to the Passerelle – with our camera pointed at it, of course. After the gate finally started moving, the cleaning vehicle rolled into the tunnel like a big, flashing monster to make the floor there shine. We ran after it for some time to get the best possible shots. In addition to many wide shots of the vehicle in the large, low tunnel, we focussed in particular on small details: the reflection of the headlights in the smooth wall tiles or a small clock left behind by the homeless people who had been sent away. It became difficult when we tried to take close-ups of the round cleaning brushes, as they were faster than expected. In the end, we were able to solve this problem successfully because Mia was even allowed to ride in the vehicle once!

The next day was the day: the table tennis tournament was finally due to start on Friday 26 April. After we had documented the set-up work in the morning, we met at 6 pm for the opening. Even before you entered the Passerelle, you could already hear the echo of the music outside, mixed with the loud sound of bouncing table tennis balls. The amateur table tennis players were already warming up here until the welcome began. Throughout the evening, we walked back and forth between the table tennis tables and players, trying to capture the most interesting shots. Again, shots of the whole room were taken relatively quickly and we focussed on the details. Taking care not to distract anyone from the game, we filmed bouncing balls, the DJ at his mixing desk, interactions between the players and, of course, the special individual playing techniques that fascinated us and showed us a lot about the people themselves. The perspective of the settings was also important: We realised that it makes a big difference to the message of an image whether it is a long shot of the entire game, a medium close-up of the players or a detailed shot of feet, balls or hands.
The tournament continued on Saturday, but we only met up again on Sunday to collect more footage and attend the award ceremony at 16:30. However, this didn’t make it into the final film, like the majority of our footage. It was really difficult to choose which shots were the most important and worked well together later in the editing process. You could easily cut an entire film from our footage about the empty Passerelle alone. It wasn’t at all uninteresting because it showed the place from the perspective of different people: The many passers-by briskly crossing the Passerelle with their suitcases, the skaters with their spectacular and rather loud tricks and, of course, the homeless people for whom the place is a home. But then the important shots of the tournament came along and we had to cut back radically. For this reason, we decided to focus on just one aspect of it: The emptiness and the eerie, deserted feeling that many people experience in the Passerelle. This quietness contrasts the loud, fast-paced table tennis tournament the most and emphasises the transformation of the place, which is why we decided to remove the many shots that didn’t match it.
In the editing process, it also became clear for the first time what our position in the events was. Because we deliberately never conducted interviews with the people there or even stepped in front of the camera ourselves, we maintain a distance from them and remain relatively neutral, even towards the place, so that we become the Other for the place. Meanwhile, the film focuses strongly on not only filming what is visible there, but also conveying the feeling that you get from the place.
The decision to only show the street and the surroundings at the end was also made relatively late, as we were initially pursuing the goal of showing the viewer as precisely as possible where we were. Only later did we realise that this aspect was secondary and that this uncertainty emphasised the strange atmosphere of the place.
In general, we were particularly struck by how much of a documentary film is only decided in the editing stage and that there are numerous ways to present the same topic in an interesting way. About three weeks and many consultations later, our film was finally ready for the premiere in Lisbon.